Erstes Legasthenie-Gen identifiziert

Neue Chancen für Kinder mit Lese-Rechtsschreibschwäche

(pte/he.vt) Marburg  – Einem deutsch-schwedischen Forscherteam ist es erstmals gelungen ein spezifisches Gen zu identifizieren, das bei der Lese-Rechtschreibschwäche, der Legasthenie, eine wesentliche Rolle spielt. Legasthenie kommt häufig bei mehreren Mitgliedern einer Familie vor. Die Forscher haben 287 Familien genauer unter die Lupe genommen und sind auf das spezifische DCDC2-Gen gestoßen. Wie das Gen genau zur Störung beiträgt, ist noch nicht bekannt. Möglicherweise spielt es beim Wandern von Nervenzellen im sich entwickelnden Gehirn eine wichtige Rolle. Die Forscher berichten über ihre Ergebnisse in der Januar-Ausgabe des American Journal of Human Genetics http://www.journals.uchicago.edu/AJHG.

Weltweit sind zwischen vier und sechs Prozent der Bevölkerung betroffen. Sie haben große Schwierigkeiten, lesen und schreiben zu lernen. Den Erbanlagen scheint eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Lese-Rechtschreibschwäche zuzukommen, das wussten die Forscher bereits. Durch die Identifizierung der Erbanlagen auf der DNA-Ebene erhoffen sich Wissenschaftler die Prozesse im Gehirn besser zu verstehen, die entscheidend für das Verstehen und den Gebrauch von Schriftsprache sind. „Die Entdeckung des Gens wird nachhaltige Folgen auf die Therapie von Legasthenie haben“, zeigt sich der Forschungsleiter Gerd Schulte-Körne von der Universität Marburg http://www.med.uni-marburg.de im pressetext-Gespräch überzeugt. „Zum einen verbessere sich die Diagnostik, um Risikokinder vorzeitig zu identifizieren. Zum anderen wird es zu einer deutlichen Spezifizierung der Therapie führen.“ Bislang sei Legasthenie als eine Störung bezeichnet worden. „Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um eine sehr komplexe Erkrankung, die spezifische Ausformungen kennt“, erklärt der Kinder- und Jugendpsychiater.

Mehrere Jahre lang hatten Kinder- und Jugendpsychiater unter der Schulte-Körne an den Universitäten Marburg und Würzburg nach Familien gefahndet, bei denen mindestens ein Kind von einer Lese-Rechtschreibschwäche betroffen war. In Blutproben suchten die Wissenschaftler nach eventuellen „Kandidatengenen“. Das DCDC2-Gen liegt in einer Region von Chromosom 6, und wurde von anderen Wissenschaftlern bereits in Zusammenhang mit der Lese-Rechtschreibschwäche gebracht. „Das Gen spielt anscheinend in der Entwicklung des Gehirns eine Rolle, genauer gesagt bei der Wanderung von Nervenzellen im sich entwickelnden Gehirn“, so Markus Nöthen vom Life & Brain Zentrum der Universität Bonn, der mit seiner Arbeitsgruppe für die molekularen Arbeiten verantwortlich war.

Nach Angaben von Schulte-Körne zeigte sich der Effekt des Gens am stärksten bei Kindern mit einer schweren Rechtschreibschwäche. Die Forscher gehen daher davon aus, dass es besonders wichtig für die Verarbeitung von Sprachinformation beim Prozess des Schreibens ist. Zukünftige Untersuchungen werden zum Ziel haben, die Funktion von DCDC2 noch besser verstehen und im Detail aufzuklären, warum es bei manchen Kindern zu Problemen beim Schreiben kommt. In einem EU-Projekt mit der Universität Salzburg arbeitet Schulte-Körne an der Erforschung wie sich die genetische Veränderung auf das Verhalten der Kinder auswirkt. Für betroffene Eltern raten die Experten nun, dass Therapien durchzuführen, wo es um Lesen und Schreiben geht. „Nur systematisches Lernen kann den Kindern helfen, Laute und Buchstaben voneinander zu unterscheiden zu lernen“ so Schulte-Körne gegenüber pte abschließend.