Die Deutschland AG löst sich auf

Die Entflechtung der deutschen Unternehmensbeteiligungen hält an / Finanzdienstleister weiter auf dem Rückzug

Quelle: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung/Krempel Abb. 1 Kapitalverflechtungen in Deutschland 2006 Bild: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung/Krempel
Quelle: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung/Krempel
Abb. 1 Kapitalverflechtungen in Deutschland 2006 Bild: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung/Krempel

(mpifg/ehj) Das Netzwerk der Unternehmensbeteiligungen, die „Deutschland AG“, löst sich immer weiter auf. Das geht aus dem 17. Hauptgutachten der Monopolkommission hervor, das heute veröffentlicht wird. Das unabhängige Gremium berät die Bundesregierung in Sachen Wettbewerbspolitik und Regulierung. Lothar Krempel vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung hat die aktuellen Daten der Kommission in Grafiken übersetzt. Sie belegen: Wo 1996 noch zahlreiche Querverbindungen das Netzwerk stützten, wird das Geflecht an Kapitalverbindungen 2006 immer dünner. Die Finanzunternehmen, die traditionell den Kern des Netzwerks bildeten, verlieren weiter an Bedeutung. Die stärksten Kerne im Netzwerk bilden heute die großen Energiekonzerne, die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit Post und Telekom sowie Porsche und Volkswagen.

In den Netzwerkgrafiken, die von Lothar Krempel entwickelt wurden, werden die 100 größten Unternehmen erfasst, die über Kapitalverflechtungen mit anderen Unternehmen verbunden waren. So entstanden im Zeitraum von 1996 bis 2006 Momentaufnahmen des deutschen Unternehmensnetzwerks – jeweils in Abständen von zwei Jahren. Mit jedem Zwei-Jahres-Schritt zeigt sich: Die Kerne des Netzwerks werden kleiner, sie sind lockerer verknüpft und mit weniger Unternehmen außerhalb der Kerne verbunden.

Noch vor zehn Jahren standen die deutschen Unternehmen stark untereinander in Kontakt. Im Kern des Netzwerks befanden sich die großen Finanzdienstleister: Allianz, Deutsche Bank, Dresdner Bank, Münchner Rück, Bayerische Hypo- und Vereinsbank (UniCredit) und Commerzbank. Sie besaßen in ihren Portfolios mehrprozentige Beteiligungen an den größten deutschen Industrieunternehmen. Außerdem waren sie stark untereinander verflochten und hielten gegenseitige Anteile am Grundkapital. Auch die Industrieunternehmen kontrollierten sich gegenseitig.

Quelle: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung/Krempel Abb. 2 Personenverflechtungen 2006 in den 100 größten deutschen Unternehmen Bild: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung/Krempel
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Abb. 2 Personenverflechtungen 2006 in den 100 größten deutschen Unternehmen Bild: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung/Krempel


Im Jahr 2006 hatten nur noch 39 der 100 größten Unternehmen Kapitalverflechtungen, 62 waren es im Jahr 1996. Es gibt nur noch 50 Verbindungen zwischen den Einheiten, verglichen mit 143 im Jahr 1996. Besonders auffällig ist, dass die Finanzdienstleister sich stark aus den Unternehmensbeteiligungen zurückziehen.

1996 waren sie an 75 der 100 größten deutschen Unternehmen beteiligt, im Jahr 2006 nur noch an 26 Unternehmen. Das betrifft auch die Beteiligungen der Finanzdienstleister untereinander. Deutsche Bank und Commerzbank lösten sich fast vollständig aus dem Beteiligungsnetzwerk. Der Rückgang der Verflechtungen zwischen Industrieunternehmen ist vorwiegend auf Fusionen zurückzuführen: VEBA/VIAG, Bewag/VEAG sowie die Übernahme von Ruhrgas durch E.ON. Lediglich in der Automobilbranche gibt es deutlich mehr und intensivere Kapitalbeteiligungen als in den Jahren davor: Hier zeigt die Grafik anschaulich die Übernahmeaktivitäten zwischen Porsche und Volkswagen.

Personelle Verflechtungen

Erstmals hat Lothar Krempel auch die personellen Verflechtungen über Aufsichtsratsmitglieder in eine Grafik übersetzt. Im Zeitraum von 1996 bis 2006 haben sich die Personalverflechtungen deutlich reduziert. Während die Deutsche Bank beispielsweise 1996 noch insgesamt 32 Aufsichtsratspositionen einnahm, waren es im Jahr 2006 lediglich noch vier. Dennoch zeigt die aktuelle Grafik, dass die Finanzunternehmen über Personalverflechtungen noch stärker ins Netzwerk eingebunden sind als über ihre Kapitalbeteiligungen.

Die Auflösung der traditionellen Beteiligungs- und Kontrollstrukturen ist nicht nur durch die Neuausrichtung der Finanzunternehmen zu erklären. Vielmehr ist sie Folge von rund 30 Unternehmenskonsolidierungen, die seit 1996 unter den „100 Größten“ als Übernahmen oder Unternehmensvereinigungen stattgefunden haben. Außerhalb des Berichterstattungshorizonts der Monopolkommission liegen die Wachstumsstrategien der großen Unternehmen vornehmlich auf europäischer Ebene, die in den Grafiken nur partiell repräsentiert sind.

Weitere Informationen:

Christel Schommertz
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
Tel.: +49 221 2767-130
E-Mail: info@mpifg.de

PD Dr. Lothar Krempel
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
Tel.: +49 221 2767-158
E-Mail: krempel@mpifg.de

Zum Weiterlesen:

Aufsätze

Martin Höpner und Lothar Krempel
Ein Netzwerk in Auflösung: Wie die Deutschland AG zerfällt.
Manuskript. Köln: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung 2006.
PDF

Jürgen Beyer
Vom Netzwerk zum Markt? Zur Kontrolle der Managementelite in Deutschland.
In: Deutschlands Eliten im Wandel, hrsg. von Herfried Münkler, Grit Straßenberger und Matthias Bohlender. Frankfurt a. M./New York: Campus 2006.
PDF

Jürgen Beyer
Deutschland AG a.D.: Deutsche Bank, Allianz und das Verflechtungszentrum großer deutscher Unternehmen.
MPIfG Working Paper 02/4. Köln: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, 2004.

Martin Höpner und Lothar Krempel
The Politics of the German Company Network.
MPIfG Working Paper 03/9. Köln: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, 2003.