Antikörper im Kopf

Ein neues Nachweisverfahren ermöglicht es, Antikörper ihrem Ursprung zuzuordnen. Weltweit gibt es viele tausend Erreger, die zum Teil ihre äußere Form nahezu kontinuierlich verändern, um dem Immunsystem zu entgehen. Dagegen wehrt sich der Körper mit mehreren Waffen: neben relativ unspezifischen Abwehrmechanismen, bekämpfen auch Erreger-spezifische T- und B-Zellen die Eindringlinge.

Quelle: Max-Planck-Institut für Neurobiologie Abb.: Antikörper-Entstehung: Erkennt eine B-Zelle eine Zielstruktur, so steht bald eine Vielzahl an Antikörpern zur Verfügung, die diese Zielstruktur angreifen. Gedächtniszellen sorgen für einen schnelleren Angriff, falls die Zielstruktur erneut auftaucht. B-Zellen, die die Zielstruktur nicht erkennen (hier die Zellen 1 und n), teilen sich nicht. Bild: Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Quelle: Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Abb.: Antikörper-Entstehung: Erkennt eine B-Zelle eine Zielstruktur, so steht bald eine Vielzahl an Antikörpern zur Verfügung, die diese Zielstruktur angreifen. Gedächtniszellen sorgen für einen schnelleren Angriff, falls die Zielstruktur erneut auftaucht. B-Zellen, die die Zielstruktur nicht erkennen (hier die Zellen 1 und n), teilen sich nicht. Bild: Max-Planck-Institut für Neurobiologie

(mpg/ehj) – Eine unglaubliche Vielfalt an Antikörpern ermöglicht es uns, im täglichen Kampf mit Krankheitserregern zu bestehen. Bei Autoimmunerkankungen attackieren Antikörper jedoch irrtümlicherweise Zellen des eigenen Körpers – im Fall der Multiplen Sklerose sind es beispielsweise Nervenzellen. Doch woher stammen diese Antikörper? Wissenschaftler der Max-Planck-Institute für Neurobiologie und Biochemie und des Klinikums der Universität München (LMU) haben ein neues Nachweisverfahren entwickelt, mit dem Antikörper ihren Ursprungszellen zugeordnet werden können. Die Methode, die auch bei anderen Autoimmun- und Entzündungskrankheiten angewandt werden kann, bereitet den Weg, um auch die Ziele zu identifizieren, die von den Antikörpern angegriffen werden.

Unser Körper wird ständig von einem ganzen Heer von Krankheitserregern angegriffen. Je nach Art des Erregers kann ein erfolgreicher Angriff schlimme Konsequenzen haben: Grippe, Aids und Malaria, die jährlich über sechs Millionen Menschen das Leben kosten, sind nur einige Beispiele. Dass wir jedoch nur ganz wenige dieser täglichen Angriffe überhaupt wahrnehmen, verdanken wir vor allem unserem anpassungsfähigen Immunsystem.

Mit Vielfalt gegen Krankheitserreger

Weltweit gibt es viele tausend Erreger, die zum Teil ihre äußere Form nahezu kontinuierlich verändern, um dem Immunsystem zu entgehen. Dagegen wehrt sich der Körper mit mehreren Waffen: neben relativ unspezifischen Abwehrmechanismen, bekämpfen auch Erreger-spezifische T- und B-Zellen die Eindringlinge. Letztere produzieren die ungeheure Menge von mehreren Milliarden verschiedener Antikörper, von denen jeder eine andere Zielstruktur erkennt. Die Bindung von Antikörper/Zielstruktur-Komplexen führt dazu, dass andere Teile des Immunsystems den so markierten Krankheitserreger angreifen und vernichten.
Da der Körper nicht im Voraus weiß, mit welchen Erregern er zukünftig in Kontakt kommen wird, werden die Antikörper-produzierenden Zellen zuerst nach dem Zufallsprinzip hergestellt. Die große Vielfalt dieser sogenannten B-Zellen entsteht durch die Kombination verschiedener Gene und spontanen Veränderungen im Erbgut. Erkennt eine B-Zelle einen Krankheitserreger, beginnt sie zu „lernen“. Sie teilt sich sehr schnell und verändert ihren Antikörper durch Mutationen so, dass er seine Zielstruktur noch besser erkennen kann (Abbildung).

Fehlgeleitetes Immunsystem: die Multiple Sklerose

Wie jedes komplexe System ist auch das Immunsystem nicht unfehlbar. Da B-Zellen nach dem Zufallsprinzip entstehen, erkennen manche von ihnen auch körpereigene Strukturen. Normalerweise werden diese Zellen abgefangen, bevor sie Schaden anrichten. Die Kontrolle versagt jedoch bei den sogenannten Autoimmunkrankheiten wie zum Beispiel der Multiplen Sklerose – hier attackiert das Immunsystem irrtümlicherweise Zellen im Gehirn und Rückenmark. Schon lange ist bekannt, dass die Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (der Liquor) bei Multiple Sklerose-Patienten eine große Menge Antikörper enthält. Der Nachweis dieser Antikörper ist ein Kriterium für die Diagnose der Krankheit.
Doch woher kommen diese Antikörper? Werden sie von den relativ wenigen B-Zellen im Liquor gebildet, oder passieren sie die Blut-Hirnschranke und stammen aus dem Blut oder lymphatischen Organen wie Milz, Lymphknoten und Knochenmark, wo sich der Großteil der Antikörper-produzierenden B-Zellen befindet? Obwohl diese Fragen bedeutend zum Verständnis der Multiplen Sklerose beitragen können, blieben sie bislang unbeantwortet. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie, die bisher vorwiegend die Rolle der T-Zellen bei der Pathogenese der Multiplen Sklerose untersucht haben, haben jetzt in Zusammenarbeit mit ihren Münchner Kollegen ein neues Verfahren entwickelt, mit dem Antikörper und B-Zellen einander zugeordnet werden können.
Hierbei machten sie sich die enorme Vielfalt der B-Zellen und ihrer Antikörper zu Nutze: Zum einen analysierten sie den für die Antikörper zuständigen genetischen Code der B-Zellen, die sie aus dem Liquor isoliert hatten. Mit diesen Daten konnten die Wissenschaftler am Computer errechnen, wie groß bzw. schwer bestimmte Fragmente des von der B-Zelle gebildeten Antikörpers wären. Zum anderen reinigten sie die Antikörper direkt aus dem Liquor und bestimmten ebenfalls die Gewichte ihrer Fragmente. Der Vergleich dieser beiden Datensätze war eindeutig: Die Antikörper im Liquor werden von den dort ebenfalls vorhandenen B-Zellen produziert. Mehr noch, die große genetische Vielfalt bestimmter Bereiche des Erbguts zeigte, dass die vorhandenen B-Zellen ihre Zielstruktur im Nervensystem bereits gefunden und kontaktiert hatten.

Ein Schritt in viele Richtungen

„Der nächste Schritt ist nun, die Fragmente der Antikörper zu ganzen Antikörpern zusammenzusetzen, um so die attackierten Zielstrukturen im Nervensystem zu identifizieren“, erklärt Klaus Dornmair, der Leiter der Studie. Denn woran die Antikörper genau binden, ist in den meisten Fällen nach wie vor unbekannt. Langfristig könnte die Klärung dieser Frage zum Beispiel ermöglichen, die schädlichsten B-Zellen aus dem Liquor zu entfernen und so den Verlauf der Multiplen Sklerose abzuschwächen. „Besonders spannend an unserem neuen Verfahren ist auch, dass es sich nicht auf den Einsatz bei der Multiplen Sklerose beschränkt“, so Dornmair. Das relativ leichte und schnelle Verfahren sollte auch die Zuordnung von Antikörpern und B-Zellen in anderen Entzündungs- und Autoimmunkrankheiten ermöglichen.

Weitere Informationen:

Dr. Stefanie Merker
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Tel.: +49 89 8578 – 3414
Fax: +49 89 89950 – 022
E-Mail: Merker@neuro.mpg.de

Originalveröffentlichung:
Birgit Obermeier, Reinhard Mentele, Joachim Malotka, Josef Kellermann, Tania Kümpfel, Hartmut Wekerle, Friedrich Lottspeich, Reinhard Hohlfeld, Klaus Dornmair
Matching of oligoclonal Ig transcriptomes and proteomes of cerebrospinal fluid in multiple sclerosis
Nature Medicine, 18. Mai 2008 (Die Studie ist Teil des SFB 571: Autoimmune reactions: from manifestations and mechanisms to therapy)