Auf den Blättern von Pflanzen leben Bakterien, welche die ungewöhnliche Substanz Syringolin A bilden. Sie hat eine ähnliche Molekülstruktur wie der potente Antikrebs-Wirkstoff Glidobactin A
(mpg/ehj) – Wenn Pflanzen plötzlich braune Flecken bekommen, werden ihre Blätter häufig mit Bakterien der Gattung Pseudomonas syringae besiedelt. Wie diese Mikroben die Pflanzen schädigen, war bisher unbekannt. Markus Kaiser vom Chemical Genomics Centre der Max-Planck-Gesellschaft in Dortmund ist zusammen mit einem internationalen Team von Wissenschaftlern dieser Frage nachgegangen. Er und seine Kollegen haben dabei verblüffende Erkenntnisse gewonnen: Denn die Substanz, die diese Bakterien abgeben, Syringolin A, weist nicht nur eine ähnliche Struktur wie der potente Antikrebs-Wirkstoff Glidobactin A auf, sie wirkt auch so.
Der von den Bakterien abgegebene Stoff Syringolin A ruft die braunen Flecken auf den Blättern hervor, indem er das pflanzliche Immunsystem zur Abwehr von Krankheitserregern beeinträchtigt. Doch wie funktioniert dies konkret? Mithilfe modernster Methoden wie der Röntgenstrukturanalyse konnten Max-Planck-Forscher sowie Wissenschaftler an der TU München, der Universität Zürich, der Universität Duisburg-Essen, der Universität Cardiff und US-amerikanischer Universitäten auf Hawaii und in Kalifornien zeigen, was genau auf zellulärer Ebene passiert: Syringolin A legt die Müllabfuhr in den Blattzellen lahm, indem es das 20S Proteasom der Pflanzen hemmt.
Das Proteasom ist einerseits eine Art „Entsorgungsanlage“, die fehlerhafte Proteine in der Zelle abbaut. Andererseits spielt es eine wesentliche Rolle bei der Regulation zahlreicher Zellprozesse, die für das Überleben von höheren Organismen wie Pflanzen und Tieren unerlässlich sind. Durch die Hemmung des Proteasoms werden die Abwehrmechanismen der Pflanze teilweise unterdrückt, wodurch sich die Bakterien in der Pflanze ungehindert vermehren können. Für die Aufklärung der verschiedenen molekularen Komponenten dieses Entsorgungsmechanismus, der neben vielen anderen Prozessen auch essentiell für eine erfolgreiche Abwehr von Pathogenen ist, erhielten die israelischen Wissenschaftler Aaron Ciechanover, Avram Hershko und der US-Amerikaner Irwin Rose 2004 den Nobelpreis für Chemie.
Als die Max-Planck-Forscher den Pflanzenschadstoff Syringolin A genauer unter die Lupe nahmen, fiel ihnen auf, dass er eine ähnliche Molekülstruktur hat wie eine andere – ebenfalls von Mikroorganismen produzierte – Substanz namens Glidobactin A. Diese wiederum gilt seit den 80er-Jahren als potenter Antikrebswirkstoff, dessen Wirkungsmechanismus jedoch bislang unklar war. Dieser wichtige Befund brachte die Wissenschaftler auf die Spur, dass beide Verbindungen zu einer neuen Substanzklasse von potentiellen Krebsmedikamenten, den Syrbactinen, gehören. Denn anschließende Untersuchungen konnten zeigen, dass Syrbactine nicht nur die Abfallentsorgung von pflanzlichen Zellen hemmen, sondern auch die regulierte Abfallentsorgung menschlicher Zellen. „Unserem Forscherteam gelang nun der Nachweis, dass auch Glidobactin A ähnlich wie Syringolin A die Müllentsorgung in menschlichen Zellen behindert“, so Markus Kaiser.
Durch Kristallstrukturanalyse des Komplexes mit dem Proteasom, dessen Molekülstruktur und -funktion von Michael Groll und Robert Huber am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried vor mehr als zehn Jahren entschlüsselt worden war, konnte der molekulare Wirkmechanismus der Syrbactine aufgeklärt werden. Diese binden an das eigentliche „Herz“ der zellulären Müllentsorgung, dem katalytischen Zentrum des 20S Proteasoms, wodurch dieses irreversibel ausgeschaltet wird. Und nicht nur das: „Diese Substanzen wirken offensichtlich besonders toxisch auf schnell wachsende Tumorzellen wie die des multiplen Myeloms und haben ein großes Potential als moderne Krebsmedikamente zum Einsatz zu kommen“, meint Markus Kaiser.
Der Dortmunder Wissenschaftler beschäftigt sich nun in seinem Labor mit der Entwicklung und Herstellung neuer Wirkstoffe auf Basis der Syrbactine. Hierzu werden in der bestehenden Wissenschaftlerallianz zurzeit verschiedenste Verfahren zur chemischen Produktion dieser komplexen Verbindungen entwickelt. In einem nächsten Schritt sollen die Syrbactine in Krebs-Testsystemen wie zum Beispiel den Neuroblastoma-Tumor-Mausmodellen getestet werden.
Weitere Informationen:
Dr. Markus Kaiser
Chemical Genomics Centre der Max-Planck-Gesellschaft
Tel.: +49 231 9742-6472
Fax: + 49 231 9742-6479
E-Mail: markus.kaiser@cgc.mpg.de
Dr. Peter Herter, Referent der Institutsleitung
Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie, Dortmund
Tel.: +49 231 133-2500
Fax: +49 231 133-2599
E-Mail: peter.herter@mpi-dortmund.mpg.de
Originalveröffentlichung:
Michael Groll, Barbara Schellenberg, Andre´ S. Bachmann, Crystal R. Archer, Robert Huber, Tracy K. Powell, Steven Lindow, Markus Kaiser & Robert Dudler
A plant pathogen virulence factor inhibits the eukaryotic proteasome by a novel mechanism
Nature, 10. April 2008