Genetischer Stammbaum von Amöben verändert biologische Einordnung

Geheimnisse sozialer Einzeller sollen auch in Humanmedizin helfen

(pte.ww/ehj.vt) Jena – Zu einer grundlegenden Änderung der Taxonomie, der wissenschaftlichen Beschreibung der Lebewesen, wird es bei den Einzellern kommen: Einem internationalen Forscherteam ist es nämlich gelungen, den molekularen Stammbaum einer Amöbe zu entschlüsseln. Und dabei haben sich völlig neue Verwandtschaftsverhältnisse dieser Mikroorganismen ergeben. Die Wissenschaftler beurteilen heute nämlich nicht mehr die morphologischen Ähnlichkeiten, sondern spezialisieren sich ausschließlich auf den genetischen Stammbaum. Die nunmehrigen Forschungsergebnisse sind nur ein Beispiel der neu geschriebenen Taxonomie der Lebewesen, berichtet die jüngste Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science http://www.sciencemag.org.

„Im Ergebnis unserer Untersuchungen wird nun die biologische Einordnung der Zellulären Schleimpilze gänzlich überarbeitet werden“, so Thomas Winckler vom Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena http://www.uni-jena.de. Von diesen Amöben, die im Boden leben, sind mehr als 100 Spezies bekannt. „Diese Schleimpilze haben ein sehr interessantes soziales Verhalten: In Notzeiten können sich bis zu 100.000 solcher Einzeller zu einem gemeinsamen, mehrzelligen, Organismus zusammenschließen“, erklärt der Wissenschaftler. Dadurch haben die Lebewesen bessere Chancen „Notzeiten“ zu überleben. Beim Modellorganismus Dictyostelium discoideum wächst aus dem zunächst kugeligen Zellhaufen ein lang gestreckter Fruchtkörper mit einer Sporenkapsel. Diese Sporen können die widrigen Umweltbedingungen lange Zeit überdauern – und keimen erst aus, wenn die Lage wieder besser ist.

Winckler hat Dictyostelium aber aus einem weiteren besonderen Grund interessiert: Das Erbgut dieses Organismus enthält Abschnitte, die sich innerhalb des Genoms frei bewegen können, was ihn als Modellsystem für viele molekularbiologische Fragestellungen prädestiniert. Diese „springenden Gene“ steuern immer nur ganz bestimmte Orte im Genom an. Typischerweise sind das Stellen, in denen sich keine anderen Gene befinden, die dadurch Schaden nehmen könnten. „Uns interessiert nun, wie die mobilen Gene ihre Ziele erkennen und wie diese Eigenschaft in der Evolution entstanden ist“, so Winckler. Antworten auf diese grundlegenden Fragen aber, so Winkler weiter, lassen sich nur dann finden, wenn man auch die mit dem Modellorganismus verwandten Arten untersucht.

Dictyostelium bildet in Notzeiten verzweigte Fruchtkörper. Bisher hatten Wissenschaftler auch andere Spezies, die ähnlich aussehende Fruchtkörper gebildet hatten, als nahe Verwandte klassifiziert. „Nach genetischen Untersuchungen stellte sich nun heraus, dass manche Arten, die nach ihrem äußerlichen Erscheinungsbild eng miteinander verwandt schienen, genetisch große Unterschiede aufweisen“, so Winckler. Das bedeute, dass die biologische Einordnung der Zellulären Schleimpilze gänzlich überarbeitet werden müsse.

Wie wichtig diese Untersuchungen für das gesamte Verständnis der Biologie sind, so wichtig könnte es auch für die Humanmedizin der Zukunft sein. „Gerade in Anwendungen der modernen Medizin hat das bessere Verständnis dieses mobilen Gen-Mechanismus sehr große Relevanz“, meint der Forscher.