Zellen nutzen Zahnradtechnik zur Signalübertragung

Die neu entdeckte Form der Bewegung erinnert an die Rotation von vier ineinander greifenden Zahnrädern. Praktische Auswirkung für die Medizin in den nächsten 20 Jahren denkbar.

Quelle: mpg.de Die HAMP-Domäne (rot) kann durch Rotation der vier Helices ihre Konformation ändern
Quelle: mpg.de
Die HAMP-Domäne (rot) kann durch Rotation der vier Helices ihre Konformation ändern

(pte/hb.vt) Tübingen – Einem Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen und des Instituts für Pharmazie der Universität Tübingen ist es nun gelungen, den Mechanismus zur Informationsübertragung ins Zellinnere zu entschlüsseln. Die neu entdeckte Form der Bewegung erinnert an die Rotation von vier ineinander greifenden Zahnrädern. „Diese Entdeckung hat das Potenzial, der generelle Mechanismus aller Rezeptorproteine dieses Typs zu werden“, so Andrei Lupas vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie im Gespräch mit pressetext. Die Studienergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Cell veröffentlich.

Bakterienzellen haben eine Vielzahl sensorischer Systeme entwickelt, um beispielsweise nährstoffreichere Umgebungen zu lokalisieren und sich aktiv darauf hinzubewegen. Dieses gezielte Wandern entlang eines chemischen Konzentrationsgradienten bezeichnet man als Chemotaxis. Der Reiz in der Umgebung bestimmt eine vorprogrammierte Verhaltensweise, ein schwimmähnliches Bewegungsverhalten, der Zelle. Gerät nun diese Zelle in einen Konzentrationsgradienten eines attraktiven Stoffes wie etwa Zucker, so wird ein Schalter umgelegt, der die Schwimmbewegungen zeitlich verlängert, um dem Gradienten folgen zu können. Dieser Schalter befindet sich in der Zellmembran hauptsächlich an den Zellpolen. Dabei handelt es sich um Proteine, die einen in den Außenraum ragenden extrazellulären Teil besitzen, mit dem sie äußere Reize aufnehmen und in das Innere der Zelle weiterleiten. Genau diese Signalübertragung war Gegenstand der Forschung der Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut.

Im Fall der Chemotaxis führt die Bindung eines Signalmoleküls an den extrazellulären Teil eines Rezeptors zur Auslösung einer ganzen intrazellulären Reaktionskaskade. An ihrem Ende steht die Phosphorylierung bestimmter Proteine, die den Bewegungsapparat des Bakteriums beeinflussen. Der Rezeptor vermittelt jedoch keinen Transport von Signalmolekülen und kann das Signal nur auf mechanischem Wege weitergeben, so die Forscher. Es müsse daher zu einer Konformationsänderung im Rezeptor kommen, um die Informationen von Außen nach Innen zu transportieren. Bis jetzt tappte die Forschung in diesem Bereich im Dunklen, da die molekulare Struktur des Moduls, das den extrazellulären mit dem intrazellulären Teil verbindet, unbekannt war. Dieses Modul wird auch HAMP-Domäne genannt. Die Struktur dieses Moduls wurde von Andrei Lupas vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie Tübingen mittels einer NMR-Spektroskopie nun entschlüsselt.

Die Untersuchungen offenbarten, dass es sich bei der HAMP-Domäne um ein Bündel aus zwei mal zwei parallelen alpha-Helices handelt. Dabei wurde eine völlig neuartige, geometrische Anordnung der Seitenketten im Inneren Helixbündel entdeckt. In Computermodellen wurde die zahnradartige Drehung der einzelnen Helices simuliert. „Wir haben vermutet, dass beide Geometrien, das heißt beide Konformationen, je einen Signalzustand repräsentieren und die zahnradartige Helixrotation die gesuchte, mechanische Konformationsänderung zur Signalübertragung darstellt“, so Michael Hulko, ein an der Forschung beteiligter Wissenschaftler. Durch gezielte Mutationen einzelner Aminosäurereste konnten die Forscher zeigen, dass sich die HAMP-Domäne tatsächlich in einen anderen Signalzustand versetzen lässt, wenn man versucht, die herkömmliche Konformation gegenüber der neuartigen zu stabilisieren.

Noch fehlt die Strukturaufklärung der zweiten Schalterstellung, auf deren Existenz alle bisherigen Hinweise deuten. „Davon sind wir noch ein paar Monate entfernt“, so Lupas gegenüber pressetext. Weiters soll in Zukunft erforscht werden, durch welche Eigenschaften die einzelnen Schalterstellungen stabilisiert werden und wie sich die Leichtigkeit des Umschaltens modulieren lässt. Der neu entdeckte Zahnradmechanismus könnte – so hoffen die Forscher abschließend – auch eine universelle Bedeutung haben.

Praktische Auswirkungen sieht Lupas im Gespräch mit pressetext für zwei große Bereiche. „Einerseits könnten neue Medikamente vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis entwickelt werden. Bis es jedoch wirklich so weit ist, werden vorsichtig geschätzt noch 20 weitere Jahre vergehen“, meint Lupas. Aber auch die synthetische Biologie, die lebensähnliche Vorgänge untersucht, könnte bereits in den nächsten fünf Jahren von dieser Entdeckung profitieren.

Weitere Inforamtionen:

Entwicklungsbiologie in Tübingen
http://www3.eb.tuebingen.mpg.de/

Universität Tübingen
http://www.uni-tuebingen.de/pharmazie/