Am Samstag, 26. Februar 2005 veranstaltet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar (TU München) ein Symposium zu dem Thema: „Theory of Mind (ToM) – zur Neurobiologie sittlichen Verhaltens“. Das Symposium findet unter der Leitung von Professor Dr. Hans Förstl statt. Gäste aus ganz Deutschland betrachten das Thema aus psychologischen, psychotherapeutischen und theologischen Blickwinkeln.
Der Mensch besitzt eine bemerkenswerte Gabe: Er versteht es, sich in andere hineinzuversetzen. Dazu muss er wissen, dass auch andere Menschen Gedanken haben. Wissenschaftler nennen diese Fähigkeit „Theorie des Geistes“, im Englischen „Theory of Mind (ToM)“. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Primatenforschung. Die Tierkundler wollten Anfang der 70er Jahre herausfinden, ob auch unsere nächsten Verwandten wissen, was im Kopf des Nachbarn vor sich geht. Kurz darauf übernahmen Psychologen das Konzept und fahndeten nach der Entstehung einer „Theory of Mind“ beim Menschen. Babys entwickeln bereits mit vier Jahren eine Theorie des Geistes, Schimpansen fehlt sie womöglich ganz.
Es handelt sich also um eine elementare menschliche Fähigkeit und daher ist es nicht verwunderlich, dass das Konzept der „Theorie des Geistes“ inzwischen auch Neurobiologen, Psychiater und Theologen beschäftigt. „Eine Veränderung der ToM finden wir bei fast allen psychischen Erkrankungen. Sie ist besonders deutlich beim Autismus, ist aber auch bei depressiven und schizophrenen Patienten zu beobachten“, berichtet Professor Dr. Hans Förstl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar. Bei den Patienten ist die Grundlage zwischenmenschlichen Verhaltens ins Wanken geraten. Sie können soziale Interaktionen nur unzureichend wahrnehmen und entschlüsseln. Noch hat die Beschäftigung mit dem – innerhalb der Psychiatrie relativ neuen – Konzept der „Theory of Mind“ keine unmittelbare Auswirkung auf Diagnose und Therapie. „Doch“, so Professor Förstl, „die Theory of Mind hilft uns ein neues Verständnis für psychische Erkrankungen zu entwickeln.“
Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei einer Erkrankung zu, welche die Wenigsten kennen: die Picksche Krankheit oder Morbus Pick. Die Patienten leiden unter einer schrittweisen Neurodegeneration des Gehirns im Bereich des Stirn- und Schläfenlappens (fronto-temporale Demenz). Die Krankheit kann bereits im Alter von 40 Jahren ausbrechen. In der Klinik für Psychiatrie werden rund 70 solcher Patienten betreut. Ihre intellektuellen Fähigkeiten sind intakt, sie erkennen ihre Mitmenschen und lösen problemlos Rechenaufgaben. Jedoch haben sie große Schwierigkeiten sich in andere hineinzuversetzen, Mitgefühl und Verständnis zu zeigen. Ihnen fehlt eine funktionierende „Theory of Mind“. „Meist sind es die Angehörigen, die diese Patienten zu uns bringen“, berichtet Professor Förstl, „denn den Patienten selbst fehlt jede Einsicht für ihre Erkrankung.“ Es scheint also, als ob die Theorie des Geistes an eine intakte Frontalhirnfunktion gebunden sei.
Solche Überlegungen führen hin zu weiteren Fragen philosophischer und moralischer Natur: Sitzt die Moral im Vorderhirn? Welche Verantwortung tragen wir für unser soziales Handeln? Vielleicht hat auch Michelangelo im 16. Jahrhundert bereits geahnt, wie wichtig das Vorderhirn für das Wesen des Menschen ist. In seinem berühmten Fresko „Die Erschaffung des Adam“, ragt der Arm Gottes aus einer Struktur heraus, die man als die Umrisse eines Gehirns interpretieren könnte.
Das Symposium im Klinikum rechts der Isar möchte ein Forum bieten, um diese interessanten Ansätze aus verschiedenen Fachgebieten zu diskutieren. Ziel ist es, mithilfe der „Theory of Mind“ unser Verständnis psychischer Erkrankungen zu verbessern und so neue Wege für zukünftige Therapien zu öffnen.
Klinikum rechts der Isar und Fakultät für Medizin der Technischen Universität München
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