Chirurgischer Eingriff zur Blasenkontrolle bei Querschnittgelähmten

Klinik Tübingen bietet Innovation erstmals auch in Europa an

(pte/he.vt-Tübingen) – Bisher waren Patienten mit einer Querschnittlähmung auf Hilfsmittel wie Katheter oder Windeln angewiesen, da sie zumeist ihre Blasenfunktion nicht kontrollieren konnten. Am Universitätsklinikum Tübingen  www.medizin.uni-tuebingen.de  wird jetzt europaweit zum ersten Mal eine Operation angeboten, die eine Kontrolle der Blasenfunktion wieder möglich macht.

Möglich wird die neuerliche Kontrolle der Blasenfunktion durch die operative Umleitung von Nervenbahnen. Dabei werden Nerven eines Rückenmark-Reflexbogens aus dem Oberschenkel auf den Reflexbogen der Harnblase umgeleitet. Durch die Auslösung eines Reizes am Oberschenkel kann dann über diese Umleitung die Blase wieder gesteuert werden. Nach bisherigen Erfahrungen dauert dies zwischen sechs und 12 Monaten. Der erste Patient, ein 25-jähriger Mann, der vor zwei Jahren bei einem Unfall gelähmt wurde, konnte gestern, Mittwoch, erfolgreich operiert werden. Dabei waren Experten der urologischen Uniklinik, der neurochirurgischen Uniklinik und ein Fachmann für Querschnittgelähmte der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen tätig.

Neu ist diese Methode allerdings nicht, denn der chinesische Mediziner Chuango Xiao entwickelte in den vergangenen Jahren eine neue Operationstechnik im Tiermodell und hatte diese bereits erfolgreich angewendet. Dabei kehrte die Blasenfunktion im Durchschnitt nach 12 bis 18 Monaten bei 67 Prozent der Patienten zurück. An mehr als 100 Patienten, bei manchen lag der Zeitpunkt der Lähmung bis zu 15 Jahre zurück, konnte die Methode erfolgreich angewendet werden. Die Erfolgschancen lagen zuletzt bei 80 Prozent.

„Wir hoffen natürlich auch auf solche hohen Erfolgschancen“, erklärt Karl Sievert, Oberarzt der urologischen Klinik am Universitätsklinikum Tübingen zu pressetext. Sievert hat mehr als zehn Jahre Erfahrung in der sakralen Neurostimulation und wurde in der Technik von Xiao persönlich unterrichtet. „Wir wollen die Methode noch weiter verfeinern“, erklärt der Mediziner. Eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen sei eine gute Kooperation der verschiedenen Spezialisten miteinander. Etwa 30 bis 40 Patienten pro Jahr erwarten die Tübinger Experten. Im Gespräch mit pressetext schließt der Experte auch Operationen an Patienten aus anderen EU-Staaten nicht aus. „Hier geht es letztlich um die finanzielle Abklärung mit den Krankenkassen“, meint Sievert. Auch ein Weitergeben des Wissens an andere Kliniken sei vorstellbar.

Da der operative Eingriff sehr komplex und anspruchsvoll ist und verschiedene Spezialisten und auch technisches Equipment erforderlich ist, kann er nur in einer Universitätsklinik durchgeführt werden, gibt der Experte zu bedenken. An der Uniklinik Tübingen soll dieser Eingriff möglichst bald ins „normale Operationsrepertoire“ aufgenommen werden. Lediglich bei frisch Rückenmarksverletzten müsse ein Zeit abgewartet werden, da es eventuell zu einer Normaliserung kommen könne. Die fehlfunktionierende Blase verursacht bei Querschnittpatienten ein beträchtliches medizinisches und soziales Problem. Bisher gab es keine befriedigende therapeutische Möglichkeit. Darüber hinaus ist im Vergleich zu den bisherigen Therapieansätzen keine ausgedehnte Nervendurchtrennung oder sehr teures Implantatmaterial notwendig.